Montag, 29. April 2024
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Brennpunkt >> Samstag, 28. Oktober 23

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Der Tross der Motorsportfreunde ist lärmfreudig durchs Stadtgebiet unterwegs, 79 Dezibel. Zu dieser Zeit warnt der Veranstalter, dass es Engpässe auf den Autoabstellplätzen in den oberösterreichischen Fanzonen gibt. (Foto: mediendenk)
Kommentar

Passau als Drehscheibe für Rallye-WM: Wer hat diesen Wahnsinn erlaubt?

Passau stinkt und ist laut. Oder, wie es IHK-Präsident Thomas Leebmann ausdrücken würde: „Endlich liegt wieder der Duft von Abenteuern und Benzin in der Luft.“

Die Dreiflüssestadt ist vom motorisierten Verkehr mehr überlastet als jede andere Provinzstadt dieser Größe. Wer zwischen den Stadtteilen an den sechs Flussufern wechseln will, dem bleibt nur der Weg über Brücken und durch die Innenstadt. Vom Anger am linken Donauufer bis zur „Straße der Kaiser und Könige“ am rechten Innufer, von den Ilzdurchbrüchen bis zum Nadelöhr Mariahilfstraße – Blechkarawanen ziehen sich zu Stoßzeiten und bewegen sich stockend.

Als wäre der Berufs- und Pendler-, der Freizeit- und Touristenverkehr, die Tankfahrten nach Österreich eingerechnet, nicht belastend genug, hat sich die Stadt heuer in der ruhigeren Zeit des Spätherbstes eine Veranstaltung aufgeladen, die Verkehrslast, Lärm und Abgasgestank auf die Spitze treibt: eine Weltmeisterschaft, die Vollgas und Verbrennern frönt, die zentraleuropäische ADAC-Rallye.

Rheinland-Pfalz hat sich vom „Donnerhall im Moseltal“ befreit, der Umzug ins Saarland war ein Flopp, jetzt dröhnt es über den Hügeln an Donau und Inn. Das Rennfahrerherz schlägt höher, wenn Staubfahnen aus der Landschaft steigen, Autos über Straßen schießen. Für einen Rallye-Weltmeister gehört es sich schnell und schmutzig aufzutreten. Die Rallye-WM erinnere an pubertäre PS-Spielchen, wie ein Spiegel-Kollege einst zutreffend schrieb. Verblieben Lärm und Schmutz an den elf Rennstrecken, es träfe ausschließlich die Anwohner der Gemeinden in dünn besiedelten Gebieten. Die Rennwagen rasen und driften auf abgesperrten Strecken zumeist durch entlegene Weiler und Bauernhöfe, durch tiefe Wälder und einsame Bachtäler. Aber von Natur- oder Tierschutz, geschweige denn Klimaschutz soll dieser Beitrag nicht handeln, es geht um die unerwartete zusätzliche Verkehrsbelastung für die Passauer Innenstadt.

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Rennwagen mit Begleitfahrzeugen frühmorgens auf dem Weg durch die Innenstadt ins österreichische Innviertel. (Foto: mediendenk)
Dieser Samstag ist ein gutes Beispiel. Es geht abwechselnd im Schärdinger Innviertel zwischen Freinberg und Münzkirchen und im Mühlviertel bei Peilstein rund. Das setzt ab den frühen Morgenstunden einen Tross von Tausenden in Bewegung: Rennwagen, Begleitfahrzeuge, Servicemobile, Teambusse und der Pulk der Fanfahrzeuge. Ihr Ziel sind die Schauplätze der Rennstrecken. Aber welch Irrsinn: Die Termine sind so gesetzt, dass Mitwirkende und Fangemeinde zwischen Mühlviertel und Innviertel an diesem Samstag hin- und herpendeln müssen. Innviertel 8.15 Uhr, Mühlviertel 10.01 Uhr, Innviertel 15.15 Uhr, Mühlviertel 17.01 Uhr. Wie das geht? Auf dem kürzesten Weg mitten durch Passau; durch die Marihilfestraße, durch die Gassen der Innstadt, über die Marienbrücke, über den Anger, durch die Ilzdurchbrüche…

Passau stinkt und ist laut. Das gilt an diesem Wochenende von früh bis spät mehr denn je. Rennwagen, Sportlimousinen, Benzin- und Dieselautos mit Kennzeichen aus ganz Deutschland, österreichische und tschechische Fanmobile – sie rollen, die Menschen am Steuer in Rennlaune, mehrmals mitten durchs Stadtgebiet. Bei bis zu 80 Dezibel zittern Schallschutzfenster, Abgasgestank liegt in den Gassen, ADAC-Leute in gelben Warnwesten patrouillieren mit Motorrädern. Um 6 Uhr fahren die ersten los, um die besten Plätze zu ergattern. Um 7.45 blinkten auf den Handys der Fans Warnmeldungen in drei Sprachen auf: die 1.500 Autostellplatze auf den Wiesen bei Reikersham im Fanblock 2 seien ausgelastet; sie sollen auf die anderen vier anderen Zuschauerräume ausweichen. Die Google-Verkehrskarte färbt sich auf der Landstraße von Anzberg bis Münzkirchen rot - Stau. Seit 9 Uhr stockt der Verkehr in der Passauer Innstadt von der Marienbrücke bis zur Haibacher Kläranlage. "Was ist da los?", rufen Leser aufgeregt in der Redaktion an. Sie könnten ihre Wochenendeeinkäufe mit dem Auto nicht erledigen. Andere klagen, sie hätten auch samstags berfuliche Termine.

"Wer den Verbrenner unnötig laufen lässt, riskiert ein Bußgeld von 80 Euro", warnt der ADAC. Unnützes Hin- und Herfahren ist in Deutschland ebenso eine Ordnungswidrigkeit . Der Tatbestand ist erfüllt, "wenn man ohne Notwendigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft eine Strecke mehrmals abfährt und dadurch andere belästigt werden", heißt es. Der ADAC provoziert und sanktioniert diese Tatbestände mit dem Freibrief "Motorsport".

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Früh um 7 Uhr patroullieren ADAC-Motorradfahrer, um Orientierungslose durch die Innstadt zu lotsen. (Foto: mediendenk)
Ein „Wahnsinns-Kaliber“ nennt OB Jürgen Dupper diese Veranstaltung. Warum hat er seiner Stadt diesen Wahnsinn angetan? Es ist beschlossen: 2024 und 2025 wird es sich wiederholen. Der Widerstand im dünn besiedelten Hinterland ist gering. Und die Passauer Bevölkerung? Sie wurden nicht gefragt, weil keine Rennstrecke ihr Stadtgebiet berührt. Sie sind nur der Fußabstreifer zu allen Seiten für ein schmutziges Spektakel geworden, weil die Stadt das Kohlbrucker Messegelände als Drehscheibe für Service und Technik zur Verfügung gestellt hat.            

Hubert J. Denk

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